Es gibt verschiedene Arten, eine Stadt kennenzulernen. Eine der besten ist mit Sicherheit eine Langzeitbeziehung. Mit Bologna verbindet mich eine langjährige Freundschaft, die schon in meiner Kindheit ihren Anfang nahm. Damals lernte ich eine verletzte und misstrauische Stadt kennen, eine Überlebende des terroristischen Blutbads, das am 2. August 1980 um 10.25 Uhr die Zeiger der Bahnhofsuhr zum Stillstand brachte. An einem gewissen Punkt dachte ich, dass aus Freundschaft Liebe werden könnte, und lebte eine Zeitlang dort. Die Stadt war fröhlich und trendy. Ihre als „Die große Schönheit“ – mit den zu weichen „z“ – gerühmte Schönheit und der Hauch von Revolution der Arbeiterklasse verliehen ihr Intelligenz. Unsere Beziehung scheiterte dennoch. Aber wir sind gute Freunde geblieben. Man kann Bologna mit seiner Mortadella ohne Pistazien, den Tortellini in heißer Brühe, wenn es draußen kalt ist, und den Arkaden, die deinen Kopf schützen, einfach nicht lange böse sein. Darüber hinaus werden hier alle Probleme mit gutem Essen kuriert. Und mit Lambrusco natürlich.
Die Stilsichere
Das Essen liegt uns Italienern in den Genen. Wir lieben es und es ist ständig Gegenstand unserer Gespräche, sogar bei Tisch. Die Frage, wer ein Rezept erfunden hat, kann zu einem Streitgrund werden. Beispielsweise sollte man nie zu einem Bologneser sagen, dass die Tortellini ursprünglich aus Modena stammen. Apropos Tortellini: Angeblich ist diese Spezialität aus frischem Nudelteig Abbild des Bauchnabels der Venus. Die besten Exemplare der Stadt findet man mitunter bei Tamburini in der Via Caprarie 1, einem alteingesessenen Feinkostladen und Tortellini-Mekka Bolognas. Wir befinden uns nun im mittelalterlichen Viertel der Stadt mit seinen historischen Gastronomiebetrieben. Ich liebe es, mich hier in den Gassen und Lokalen zu verlieren, auch wenn ich eigentlich jeden Stein kenne.
Im Viertel Quadrilatero zwischen der Via Clavature und der Via delle Pescherie Vecchie, zwischen Piazza Maggiore und Piazza della Mercanzia befand sich der Alte Markt. Er durchflutete die Straßen mit Düften und den lauten Rufen der Händler, die die Damen dazu aufforderten, ihre Waren zu kaufen. Die Läden dieses wundervollen Viertels wurden später neu gestaltet, Tresen und Fenster in Richtung Straße dienen heute dazu, ganzen Menschentrauben Wein und schnelle Gerichte zu servieren. Sitzen kann man in dieser emilianischen Rambla auf improvisierten Hockern, und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist dieser Ort einfach unwiderstehlich.
Eine Ahnung von dem, was dieses Viertel einmal war, bekommt man noch in der Osteria del Sole im Vicolo Ranocchi 1/d, einem Bologneser Restaurant, das auf das Jahr 1465 zurückgeht. Das Lokal ist wie ein geheimer Tunnel in die Vergangenheit. Die vergilbten Fotos an den Wänden, das ohrenbetäubende Stimmengewirr und die Kneipenpreise machen es zum lauschigsten Ort in der ganzen Stadt. Die ein bisschen abseits vom Gedränge in der Via Clavature gelegenen kleinen Lokale Il Calice und Rosarose gehören bei den Einheimischen zu den beliebtesten. Der Spezialitätenteller „Crescentine e Culatello“ (Fladenbrot und roher Schinken) ist ein Muss im Il Calice. Beim Schwatz mit den Freundinnen im Rosarose bestellt man sich Couscous und Salat. Die beiden sich gegenüberliegenden kleinen Lokale erinnern mich an die Tanzfeste aus den Filmen von Pupi Avati, wo auf der einen Seite die Jungen stehen und die Mädchen gegenüber beobachten und diese so tun, als würden sie es nicht bemerken.
Nachdem wir die Bologneser Gastronomieszene erkundet haben, haben wir uns wirklich eine kleine Pause verdient. Das Naama Café ist ein Stück Marrakesch in einer bunt zusammengewürfelten und multiethnischen kleinen Ecke von Bologna. Unter den Arkaden der Via Guglielmo Oberdan, Nummer 31/b, neben einem Erotikshop, lässt einen der Duft von Minze, Kardamom und Baklava mit Pistazien für einen Moment vergessen, dass man in Italien ist.
Wenn man nach Bologna reist, muss man ein paar Kilo mehr einfach mit einplanen. Ich bekämpfe das schlechte Gewissen mit langen Spaziergängen unter den Arkaden zwischen Boutiquen und Kunstgalerien, zwischen Akkordeonspielern und jenem Mann, der in der Via Massimo d’Azeglio in einer Ecke sitzt und sich durchs Leben schlägt, indem er den Passanten im Tausch gegen eine kleine Spende eine Partie Schach anbietet. Shopping hat in Bologna zwei Namen: L’Inde Le Palais und Ratti. Das sind die Geschäfte der eleganten Damen, die locker und ohne mit der Wimper zu zucken auf hohen Hacken über das historische Pflaster schreiten. Das Inde Le Palais ist nicht nur wegen der edlen Designerkleidung einen Besuch wert. Vor allem die luxuriöse Schaufenstergestaltung in der Via dei Musei muss man einfach gesehen haben.
Nachdem ich mich mit Haute Couture eingedeckt habe, habe ich oft Lust, das passende Vintage-Accessoire dazu auf den Märkten der Stadt zu finden. Aus irgendeinem Grund wird der historische Markt La Piazzola auch „Montagnola“ genannt, wie ein gleichnamiger Park der Stadt. Aber das ist eigentlich Nebensache, weil der Markt, egal wie er heißt, einzigartig ist und sich noch bis heute die Ursprünglichkeit eines alten Flohmarktes bewahrt hat. La Piazzola erstreckt sich über die beiden Seiten der Piazza del VIII Agosto: Auf der flachen Seite kann man Kleidung, Schuhe, Taschen und ganze Warenbestände von in Insolvenz gegangenen Läden finden. Mit ein wenig Glück kann man hier echte Schnäppchen machen. Im höher gelegenen Teil, der sich über das Eingangstor des Montagnolaparks hinaus emporzieht, findet man die Stände mit den Retro-Produkten, und hier verbringe ich ganze Samstagvormittage und feilsche um den Preis einer Pelzschapka oder einer Chanel-Jacke aus den Siebzigern. Für Liebhaber von Retro-Artikeln lohnt sich auch ein Besuch von Leonarda, einem Gebrauchtwarenmarkt, der vom Verein „Associazione Piazza Grande“ geleitet wird. Hipster-Stil und Edelmut, all das kommt hier zusammen, denn der Erlös von Leonarda wird für wohltätige Zwecke gespendet – noch ein Grund mehr, hier einzukaufen.
Ich bin nicht der Typ, der normalerweise in Hotelketten übernachtet. Touristen vertrauen oft lieber bekannten Namen, aber sie riskieren dabei, einen Großteil der lokalen Kultur zu verpassen und somit die eigentliche Seele des Reisens zu vernachlässigen. Das Baglioni in Bologna ist die berühmte Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Im Grand Hotel Majestic „già Baglioni“ kann man einen der kostbarsten und kunstgeschichtlich interessantesten Freskensäle des Bologneser Bauhandwerks bewundern. Die Fresken von Agostino und Annibale Carracci schmücken das Hotelrestaurant in einem imposanten Saal aus dem 16. Jahrhundert im alten Palast Ghisilardi Fava. In einigen der im Keller befindlichen Säle gibt es sogar noch intakte Teile des Decumanus minor aus römischer Zeit. Diese Straße aus dem Jahr 187 v. Chr. verlief unter der heutigen Viale Manzoni. Wenn mir all dieser Luxus etwas zu Kopf steigt, nehme ich meinen Spaziergang unter den Arkaden der Via Ugo Bassi in Richtung Via del Pratello wieder auf, um Bolognas vibrierende und lebenssprühende Seite zu erleben.
Dort gibt es weder schicke Lokale noch glamourös aussehende Drinks und keine Damen in Stilettos, sondern einen bunten Mix aus Jung und alternativem Lebensstil, den man nur hier und in nordeuropäischen Melting Pots findet. Graffiti auf den Mauern und Bier vom Fass beleben die lange Straße des Stadtviertels Porto-Saragozza. Hier wimmelt es von Studenten und Mitvierzigern, von denen Letztere für gewöhnlich gar nicht daran denken, Anzug und Krawatte zu tragen. Die Lokalauswahl fällt hier allerdings aufgrund des vielfältigen Angebots schwer: Das Altotasso bietet beispielsweise Jazzmusik, Weine aus biodynamischem Anbau und raffinierte Cocktails. Das Al Pradel, ein historisches Pub mit Musik und Tischtennisplatte, ist wiederum ideal für einen Abend mit Freunden. Im Tarcaban Café hingegen kann man an einem kalten Winterabend eine Suppe essen und Shisha rauchen.
Wie ihr euch auch entscheidet – ob für das luxuriöse, verschnörkelte Bologna des 16. Jahrhunderts, das Bologna der stundenlang geköchelten Fleischsauce oder das Bologna der Garagen mit Livemusik –ihr werdet die Stadt in euer Herz schließen und gute Freunde werden.
di Veronica Gabbuti