Nachdem ich auf diese Weise Energie getankt habe, laufe ich die Via di Belvedere entlang in Richtung Porta San Giorgio. Auf der rechten Seite des Tores kann man das Fresko mit dem Drachen und den längsten Abschnitt mittelalterlicher Mauern in Florenz bewundern. Links liegt das imposante Forte Belvedere, das für Ausstellungen genutzt wird. Von hier muss man nur auf die schmucke Piazza di Santa Felicità mit der gleichnamigen Kirche hinuntergehen und schon ist man in Oltrarno. Johanna von Österreich gelangte seinerzeit vom Palazzo Pitti aus durch den von Cosimo I. in Auftrag gegebenen Vasari-Korridor in ihre Privatkapelle im Mittelschiff dieser Kirche und vermied es dadurch, die Straße entlangzulaufen. Oltrarno ist ein Genießerviertel: Sie haben die Wahl zwischen einer leckeren Focaccia aus Kichererbsenmehl (lassen Sie sich die vom 5eCinque nicht entgehen!) und einem saftigen bistecca alla fiorentina, das mindestens acht Zentimeter hoch und natürlich rare – blutig – gebraten sein muss. Man serviert diese lokale Steakspezialität zum Beispiel im I 4Leoni.
Borgo San Jacopo, Via Maggio und Via dei Serragli sind die Straßen der Handwerker und Antiquitätenhändler. Um den Borgo von der Piazza della Passera aus zu erreichen, gehe ich gern durch die Via Toscanella und schaue bei der Madonna del Puzzo vorbei, einer originellen Terrakottafigur von Mario Mariotti: Die Madonna hält sich die Nase zu und schaut zum Himmel hinauf. Mariotti wohnte in diesem Viertel und kam auf die Idee, seinen Missmut über dessen üblen Gerüche auf diese Art auszudrücken.
Wie schon gesagt gibt es hier Handwerker aller Art, wie zum Beispiel Lapo und Michiko. Er ist Buchbindermeister in der sechsten Generation, sie arbeitet in Florenz seit 15 Jahren als Papierrestauratorin. Sie sind Geschäftspartner und auch privat ein Paar. Lapo ist Autodidakt und ein echter Sohn der Kunst, während Michiko in Paris studiert hat (vor ihrem Atelier weht sowohl die französische als auch die italienische Flagge): „Wir haben uns hohe Ziele gesteckt, indem wir Einzelstücke herstellen und uns von jeder Art der Massenproduktion entfernt haben.“ Das Papier von Lapo und Michiko könnte auch als Grundlage für die künstlerischen Fotografien von Marilena und Rino dienen. Deren Labor Fotomorgana befindet sich zwischen dem Boboligarten und dem Torrigianipark in der Via dei Serragli 104, dem künstlerischen Zentrum des Florentiner Handwerks. Als wahrscheinlich die Einzigen in der Toskana, die Schwarzweißnegative entwickeln, sind sie seit so vielen Jahren auf dem Markt, dass alle Profis zu ihnen kommen. Im Labor erneuert sich die Magie der Dunkelkammer mit jeder Kreation: Einzelabzüge, handgemachte Passepartouts, Retuschen und Kolorierungen sind nur einige der unzähligen Möglichkeiten, die die Kunst von Marilena und Rino hervorbringen kann.